Die seltsame Geschichte der Eismädchen von Biesdorf.
Es ist schwierig den genauen Beginn zu datieren, sicher ist, dass sich ab etwa 1912 Berichte mehrten, die von geisterhaften Damen im und um das Schloss Biesdorf handeln. Man erzählte sich von jungen Mädchen, die nächtens ausgelassen im Park tanzten, von schadenfrohem Kichern, welches aus den Büschen des Parks drang, und, hinter vorgehaltener Hand, von lüsternen Ausschweifungen, die im Eiskeller des Parkes stattfanden.
Obwohl kein einziger überzeugender Beweis auftauchte, häuften sich die Sichtungen unbekannter Frauen rund um das Schloss und seinem Eiskeller.
Die Berliner Illustrirte Zeitung schreibt in ihrer Ausgabe vom 6. Januar 1913:
Auch der zuständige Archivar im Polizeirevier lächelt nur still in sich hinein “Wir haben eine ganze Kladde voller Anzeigen, sicherlich. Aber nicht ein einziger Bericht kommt aus gut beleumundeter Quelle.” Er zeigt auf die zahlreichen Protokolle “Alle Zeugen, wenn man sie so nennen darf, sind Kinder, Trunkenbolde und, in einem Fall, eine Nonne, die von religiösen Wahnbildern gejagt wurde. Wegen derart Schabernack vergeuden wir hier nicht unsere Kräfte.”
Trotz dieser berechtigten Zweifel blühte in Biesdorf munter die Gerüchteküche. Mal erging man sich in abartigen Vermutungen über hemmungslose Bacchanalien, mal wurde der Eiskeller zur Heimstatt weiblicher Vampire, eine These, die durch die zahlreichen, im Eiskeller hausenden Fledermäuse noch begünstigt wurde.
Derartige Schauergeschichten verbreiteten sich in Windeseile und bald war auch im nahegelegenen Berlin die Geschichte der Eismädchen in aller Munde. In Louis Kellers Festsälen in der Koppenstraße 29 wurde die Tanzdarbietung “Die Damen aus dem Eis” ein Liebling des Publikums, der (verschollene) Groschenroman “Die Eisfee im Mond” von G. Severitt wurde fraglos von den Anekdoten aus Biesdorf beeinflusst, und fuhr jemand von Berlin nach Biesdorf rief man ihm fröhlich “Lass Dich nicht vom Eise küssen” nach.
In seinem Büchlein “Wanderungen am Rande der Stadt” (Berlin, 1916, Verlag der Geograph. Akademie) schreibt Raymond Fragstein:
In der Bahnhofsgaststätte versuche ich mehr über die mysteriösen Damen beim Schloss zu erfahren. Allein die Einheimischen, obwohl mir wohlgesonnen, schweigen meistenteils. Lediglich ihr Blick wandert zum Turm des Schlosses und ein leise gemurmeltes “Vielleicht. Ich weiß es nicht.” ist alles was man als Antwort auf die Frage nach der Existenz der Damen erfährt. Später erscheint der Wirt mit zwei Schnapsgläsern für mich und mein Gegenüber, gefüllt mit einer weißlich schlierigen Flüssigkeit. “Da haben sie Ihre Eismädchen” sagt er als Begründung. Diese “Eismädchen” so stellt sich heraus, sind eine raffinierte, salzig scharfe Mixtur aus Korn und Anisschnaps, die sich in den Biesdorfer Gaststätten großer Beliebtheit erfreut. Eigentümlich ist die Tatsache, dass man ein Eismädchen bestellt, jedoch stets zwei Gläser erhält. “Wo eine ist, ist die andere nicht weit”, so die lakonische Erklärung des Wirtes zu diesem eigentümlichen Brauch.”
Noch in den 50er Jahren konnte man nach Mitternacht in der Schwabinger Bar Bei Gisela die Wirtin Gisela Jonas dabei erleben, wie sie Hugo Wieners Chansons Der Novak lässt mich nicht verkommen um eine Strophe zu den Mädchen von Biesdorf ergänzte:
Ich wollt’ an kühlen Kellerdamen lecken, man sagt, dass sie wie frische Eiscreme schmecken. Die Fraun im Mond hätt’ ich ins Bett genommen,aber der Novak lässt mich nicht verkommen.
Die Suche nach Beweisen.