III | Felina Schrödinger | Das Mädchen mit der Kamera

Felina Schrödinger wurde wohl Anfang – Mitte des letzten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts in der Nähe Dresdens als erstes Kind einer Tänzerin und eines Gelegenheitsdiebes geboren. Ab Ende 1907 beginnt sie eine Ausbildung in der Dienstmädchen-Schule in der Villa Reynard in Radebeul bei Dresden.
Felina, ein junges, aufgewecktes Mädchen kommt, wohl nicht zuletzt durch ihre Mutter, in Kontakt mit der neuen, aufblühenden Kunst Bohemian von Dresden. Sie ist mit Kirchner und Bleyl befreundet und verkehrte oft in dem ehemaligen Fleischerladen in der Friedrichsstadt, der den beiden Künstlern als Wohnstatt und Atelier diente.

Felina Schrödinger, undatierte Photographie.
Felina Schrödinger, undatierte Photographie.

 

Ebenso ausgeprägt wie ihr Interesse für Kunst war Felinas Wissensdurst. Sie hatte als eine der ersten Frauen in Dresden versucht sich in Physik zu immatrikulieren, wurde jedoch ob ihrer geringen Schulbildung abgelehnt. Nach dem Ende ihrer Ausbildung verdingte sie sich als Zugehfrau in verschiedenen Häusern und war regelmäßiges Aktmodell für ihre Dresdner Kunstfreunde.

Sie schreibt über diese Zeit:

“Das lange Verharren in einer Position ist entweder mehr und mehr anstrengend oder man versetzt sich in einen Zustand der Losgelöstheit in dem man sich der Schwere des eigenen Körpers entziehen kann. Diese Losgelöstheit, nicht unähnlich der Meditation, gleicht einem wachen Schlaf. Erwache ich aus diesem Schlaf, finde ich mich umgeben von meinen Abbildern, seltsame Mutationen meines Körpers, gespiegelt in dem oft verschlingenden Blick der malenden Männer. Sind diese Wesen ich, bin ich sie, oder sind wir nur unterschiedliche Möglichkeiten meiner selbst?”

 

Im Atelier von Ernst Kirchner
Felina Schrödinger im Atelier von Ernst Kirchner

 

Felina Schroedinger vor dem Gemälde “Akt mit Schirm und Fächer” des Künstlers Max Pechstein. Aufgenommen in seinem Domizil in Berlin Zehlendorf, Goethestraße von Waldemar Titzenthaler.
Abbildung aus “Das Weib im Bildnis seiner selbst” von Dora Kellner, erschienen in Jugend und Kunst, 3. Jhrg. Nr. 2, S.23, folgende.

 

Wo, wann, wie lernten sich Felina und Yuliya kennen, oder waren sie sich nie begegnet, verbunden nur durch das geschriebene Wort? Wir werden es vielleicht nie erfahren. Sicher ist jedoch, dass die Beiden ab Mitte 1909 in engem Briefkontakt stehen.

Felina versuchte sich in ihrer Dresdner Zeit auch selbst als Malerin, jedoch nur für kurze Zeit, da sie ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht wurde. “Ich wollte all das Mögliche erfassen, aber am Ende schuf ich nur banale Abbilder dessen was bereits vorhanden ist.” schreibt sie einmal an Yuliya. Durch Kirchner, der seine Modelle regelmäßig fotografierte, bekam Felina Gelegenheit sich selbst als Fotografin zu probieren. Sie war von Anfang an begeistert.

“Ab morgen wird zurück geschossen! Für jedes Bild das man sich  von mir macht werde ich eine eigene Schöpfung schaffen, ein Wesen, nur aus mir selbst geboren. Mit jedem Bild werde ich stärker werden. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Oh Yuliya, mir schwindelt allein bei der Vorstellung.”

 

 

Felina Schrödinger mit Elly und Wilhelm von Siemens auf der Terrasse von Schloss Biesdorf.
Felina Schrödinger mit Elly und Wilhelm von Siemens auf der Terrasse von Schloss Biesdorf.

 

Im Frühling des Jahres 1911 nimmt Felina Schrödinger eine feste Stelle als Dienstbotin im Schloss Biesdorf, dem Sitz der Familie Siemens, an. Mit ihrem offenen, bezaubernden Wesen, ihren guten Manieren und ihrer, für ihren Stand außerordentlichen Allgemeinbildung, gewann sie bald die Gunst ihrer Herrschaft und wurde alsbald einer Zofe gleichgestellt. Gab es eine Pause in ihrer Arbeit sah man sie oft in der Bibliothek von Werner von Siemens, dem Vater des Schlossherrn.

“Unser Felinchen ist ein verblüffendes Frauenzimmer. Ich habe ihr erlaubt in Papas Bibliothek zu stöbern, und jetzt nutzt sie jede freie Minute sich mit all den alten Formeln und Diagrammen vollzustopfen. Es ist eine wahre Freude sie zu beobachten, sie ist wie ein Frühlingsstrahl in diesen staubig-trostlosen Räumen.”

schreibt Wilhelm von Siemens einem Freund.

Derweil drehen sich die Briefe von Felina und Yuliya zunehmend um Kameratechnik, mathematisch physikalische Probleme und Fragen der Wahrnehmungsphilosophie. Leider ist der Grad der Zerstörung bei fasst allen Briefen so hoch, dass man zwar das Sujet erahnen kann, den eigentlichen Sinnzusammenhang jedoch nicht. Es finden sich jedoch diverse Hinweise, dass Felina von Yuliya eine Kamera (?) für ihre Fotografie erhielt und ausgiebig nutzte. Beide referieren dabei oft lediglich auf C.

Ich frage mich wieweit die Möglichkeiten die C. zeigt zu Bedingungen werden, zu Gegenständen. Aber verliert nicht die Möglichkeit ihre Form, wenn wir ihrer habhaft werden können?

 

Felina Schrödinger. Ort und Datum dieser Photographie sind bisher nicht verifizierbar.
Ort und Datum dieser Photographie sind bisher nicht verifizierbar.

C. ist ein seltsamer Apparatus, manches Mal denke ich er (oder sie?) verfügt über eine eigene Seele, eine Seele, die sich von Bildern nährt.

Felina Schrödinger. Ort und Datum dieser Photographie sind bisher nicht verifizierbar.

 

Wenn das Mögliche in das Reale schlüpft, verknüpft es sich ja mit dieser Wirklichkeit, oder verzahnt es uns mit seiner eigenen Realität? C. treibt mich in den Wahnsinn und sie (Ich habe nunmehr beschlossen das C. weiblich ist) labt sich munter an den Möglichkeiten.

 

Was war C., war es eine Kamera, und wenn ja, konnte es sich tatsächlich um eine real existierende Conjunctiva handeln?
Sollte Yuliya tatsächlich eine Kamera entwickelt haben, die nicht auf der Basis der Gesetze der klassischen Physik, sondern auf der Basis quantenmechanischer Zustände funtionierte.  War ihr mit Hilfe des Superpositionsprinzips (d. h. die quantenmechanische Kohärenz) ein Fotoapparat gelungen, der in der Lage war nicht nur das abzubilden was ist, sondern all das was sein könnte?

 

Ist es möglich, mögliche Varianten unserer Wirklichkeit im Bild zu erfassen?

Vielleicht. Ich weiß es nicht.

Teil IV | Das Geheimnis der Autochrome